Peter Weiss‘ Theaterstück Die Ermittlung bringt den Frankfurter Auschwitzprozess auf die Bühne. In 11 Szenen, deren Dialoge nahezu wörtlich aus den Verhandlungsprotokollen montiert sind, werden die Verbrechen der Schoa und der Versuch ihrer Aufarbeitung vor Gericht dargestellt. Ein erschütterndes Dokumentardrama, das nicht nur die Verzweiflung und das Leid der Opfer zeigt, sondern auch die höhnische Ignoranz der Täter.
Vor dem Ruhm
Patricia Highsmith ist eine der großen US-amerikanischen Autorinnen des letzten Jahrhunderts. Oft etwas degradierend als „Queen of Crime“ etikettiert, hat sie in ihren meisterhaft konstruierten Thrillern die Abgründe der Psyche ausgeleuchtet. Zum 100. Geburtstag der Schriftstellerin erscheint mit Ladies eine schöne Auswahl früher Stories, die allesamt vor Highsmiths großem Durchbruch entstanden sind.
Patriarchy is a Death Cult
Es gibt in diesem Jahr gleich doppelten Anlass, an Marlen Haushofer zu erinnern: Ihr Geburtstag jährt sich zum hundertsten, ihr Todestag zum fünfzigsten Mal. Neben den großen Romanen dieser außergewöhnlichen Schriftstellerin sollte man auch unbedingt ihre kürzere Prosa lesen. Die Novelle Wir töten Stella ist ein flirrendes kleines Meisterwerk, das die patriarchalisch-bürgerliche Geschlechterordnung der Nachkriegszeit schonungslos offenlegt.
Warten auf die Barbaren
Dino Buzzatis Klassiker über einen jungen Leutnant, der sein Leben mit dem Warten auf die entscheidende Bewährungsprobe verplempert, ist einer der großen existentialistischen Romane des 20. Jahrhunderts. Zugleich aber lässt sich Die Tatarenwüste aus dem Jahr 1940 als Reflexion über das unpolitische Wegschauen und Nicht-Wahrhaben-Wollen in Zeiten des Faschismus lesen.
Popo-Poetologie
Witold Gombrowicz‘ Ferdydurke ist ein singulärer Roman der Weltliteratur. Hier wird geblödelt und infantilisiert, was das Zeug bzw. der Popo hält. Doch dieser Klassiker der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts ist mehr als bloß eine Abrechnung mit dem Kulturbetrieb und der Gesellschaft der Vorkriegszeit.
Kammerspiel der Ausweglosigkeit
Yasushi Inoues tragische Liebeserzählung Das Jagdgewehr aus dem Jahr 1949 zählt zu den wenigen japanischen Texten, die in den westlichen Literaturkanon gewandert sind. Anhand mehrerer Briefe verschiedener Figuren wird eine tödlich endende Dreiecksgeschichte erzählt, die sich vor dem Hintergrund der von Einsamkeit und Melancholie geprägten japanischen Nachkriegsgesellschaft abspielt.
Ein Leben für den Widerstand
Ein gelungenes Experiment, belohnt mit dem Deutschen Buchpreis 2020: Die Autorin Anne Weber hat ein buchlanges Versepos vorgelegt. Aber keine klappernden Hexameter künden hier von den blutigen Taten alter Recken. Stattdessen erzählt Annette, ein Heldinnenepos frei von Schwulst und Pathos die wahre Geschichte der Französin Anne Beaumanoir, die sich als junges Mädchen der Résistance anschließt und später für ein freies Algerien kämpft.
Lost Places und verlorene Seelen
Der zweite Roman des schwäbischen Autors Kai Wieland, Zeit der Wildschweine, ist wieder ein Wurf: Die Suche nach Lost Places in Nordfrankreich wird für den Reisejournalisten Leon zur Erkundung des eigenen Ich. Doch kein schnöder Selbstfindungsroman mit simplen Botschaften erwartet hier die Leser*innen, sondern eine raffiniert erzählte, tiefgründige und sprachlich wunderschöne Erzählung über die Schwierigkeit, das Leben sinnvoll zu gestalten.
Aufbruch ins Unbekannte
Berühmt geworden ist die us-amerikanische Autorin Jhumpa Lahiri mit Erzählungen und Romanen über Migrationsschicksale und ein Leben zwischen den Welten. Nun hat sie etwas außerordentlich Mutiges gewagt: Einen Wechsel von der englischen zur italienischen Sprache. Ihr neuer Roman – der erste auf Italienisch – erzählt klug und wundervoll poetisch vom Versuch einer weiblichen Selbstfindung.
Ethnologin ihrer selbst
Zum 80. Geburtstag der großen französischen Schriftstellerin Annie Ernaux erscheint auf Deutsch ein weiterer Teil ihres autobiographischen Erzählprojektes: In Frankreich schon vor einem knappen Vierteljahrhundert erschienen, erzählt der Band Die Scham von einem traumatischen Kindheitserlebnis, das für immer Spuren im Bewusstsein der Protagonistin hinterlässt.