Ein Bildungsroman en miniature: Maylis de Kerangals Porträt eines jungen Kochs führt die Lesenden in die ebenso faszinierende wie fordernde Welt der Restaurantküchen. In sinnlich-präziser Sprache wird aus dem Leben des jungen Mauro erzählt, der seinen Traum von einer Karriere als Koch der stets unerbittlichen Wirklichkeit abringen muss.
Romane über Kochkunst und den Restaurantbetrieb sind allgemein eher selten. In Frankreich, einem Land, dessen Kultur der Kulinarik einen fraglos höheren Stellenwert einräumt als etwa Deutschland, erscheint das Thema allerdings ab und an doch in der Literatur. Nach Marie NDiayes bemerkenswertem Roman Die Chefin (2016, dt. 2017) über eine Frau, die sich aus einfachen Verhältnissen stammend den Status einer Spitzenköchin erarbeitet, hat auch Maylis de Kerangal die ambivalente und faszinierende Welt der gehobenen Gastronomie zu ihrem Sujet gemacht. Ihr Porträt eines jungen Kochs – hervorragend übersetzt von Andrea Spingler – ist mit gut 80 Seiten zwar kein ausgewachsener Roman, aber dennoch ein wunderbar reiches, kluges und unterhaltsames Stück Prosa.
Gewundener Werdegang
Erzählt wird – aus der Perspektive einer Freundin – von Mauro, einem jungen Mann, der zunächst Wirtschaftswissenschaften studiert, bevor er sich mit Anfang zwanzig für eine Karriere als Koch entscheidet. Mauro hat einen Traum, ein Ziel, auf das er hinarbeitet, auch wenn er sich über den Weg dorthin nicht im Klaren ist. Entsprechend gewunden verläuft sein Werdegang: Noch als Student jobbt er einen Sommer lang in einer angesagten Pariser Brasserie. Zuständig für kalte Vorspeisen lernt er Handgriffe und erkundet zum ersten Mal die geheimnisvolle Welt der professionellen Küche. Effizienz, Präzision und ökonomisches Arbeiten sind hier alles; der Umgang ist ruppig, die Arbeitszeiten lang, bezahlt wird eher schlecht.
Sprung in die Selbständigkeit
Doch Mauro hat Feuer gefangen. Er beendet zunächst sein Studium, im Bewusstsein, dass ihm der Abschluss ein interessantes, weil rares Profil verleiht, und stürzt sich dann ganz in die Welt der Gastronomie. Kochen fasziniert ihn seit jeher, schon als Jugendlicher hat er mit Begeisterung für andere, für Freunde und Familie, Gerichte zubereitet. Doch es ist nicht nur der kreative Prozess des Herstellens, der ihn anzieht, sondern auch die Präsentation, der Raum für soziale Interaktion, der sich dabei öffnet:
„Denn die Zubereitung eines Gerichts ruft unmittelbar nach einem gedeckten Tisch, einem anderen Gast, nach Sprache, Emotionen und allem, was sich an Theatralischem bei einer Mahlzeit abspielen kann, vom Auftragen der Speisen bis hin zu den Kommentaren, die sie auslösen – Borborygmen der Gäste mit vollem Mund und aufgerissenen Augen.“
Nach einigen anderen Stationen, bei denen er auch Gewalterfahrungen im harten, durchweg männlich dominierten Küchenalltag großer Restaurants machen muss, wagt Mauro den Sprung: Er macht sich gemeinsam mit seinem Vater, der von der Materie keine Ahnung hat, aber mit Begeisterung den Gastgeber spielt, selbständig.
Was zunächst nach einem Himmelfahrtskommando aussieht, erweist sich als überraschender Erfolg. Das kleine Pariser Restaurant der beiden macht sich rasch einen Namen und floriert. Doch Mauros Privatleben findet praktisch nicht statt. Die Freundin Mia hat er längst verloren, in seiner Wohnung, die direkt über dem Restaurant liegt, stapeln sich nach vier Jahren noch die unausgepackten Kartons. Bald kann er das Arbeitspensum nicht mehr ertragen, die Erschöpfung ist total. Mauro verkauft den Laden, nicht obwohl, sondern weil es so gut läuft, und beginnt von vorn. Es zieht ihn in die Ferne, nach Asien. In Bangkok versucht er einen Neuanfang.
Ein schillernder Charakter
De Kerangal gelingt mit ihrem Porträt eines jungen Kochs auf bemerkenswerte Weise zweierlei: Zum einen vermag sie es, die sehr eigene und faszinierende Welt der Küchen, Großmärkte, Bistros und Restaurants auf sinnlich-präzise Weise zu beschreiben, ohne dass der Text je in den manchmal schwülstigen, prätentiösen Jargon sogenannter Feinschmeckermagazine und Restaurantkritiken abgleitet. Sie zeigt, was es heißt, in diesem Beruf zu arbeiten, zeigt die Faszination und Magie, die davon ausgeht, zugleich aber auch das Triste, Deprimierende und die immensen persönlichen Opfer, die eine Karriere erfordert.
Zum anderen wird hier in konzentrierten Kapiteln ein eigenwilliger, schillernder Charakter gezeichnet. Mauro hat ein Ziel im Leben, das er rastlos und mit unbedingtem Willen verfolgt, doch nie ganz zu erreichen vermag. Immer wieder drängt es ihn fort, vertreibt eine neue Idee, ein anderes Konzept die Ernüchterung des Bisherigen. Unerreichbar bleibt damit aber am Ende auch die Figur selbst; seine Erzählerin vermag ihn zu beobachten, gelegentlich auch auf einem Abschnitt seiner Reise zu begleiten, doch richtig nah kommt sie ihm nicht. Fast ein wenig geisterhaft streift dieser Mauro durch sein Leben und die Küchen, in denen er arbeitet. Vielleicht aber lässt ihn gerade diese Unvollkommenheit so menschlich erscheinen.
Maylis de Kerangal: „Porträt eines jungen Kochs“. Roman. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. Gebunden, 94 Seiten. ISBN 978-3-518-47077-0.