Ein ungewöhnlicher Krimi aus Japan: Schriftsteller Mizuno hat eine Mordgeschichte geschrieben und fürchtet nun, dass sie Wirklichkeit werden und ihn ans Messer liefern könnte. Jun’ichirō Tanizakis Roman Das Geständnis aus dem Jahr 1928 ist nun erstmals auf Deutsch erschienen und zeigt auf faszinierende Weise, dass nicht nur in Berlin und Paris, sondern auch in Tokio die Goldenen Zwanziger wild waren.
Eigentlich dürfte dieser Text gar nicht so einfach funktionieren: Ein unsympathischer Protagonist, der aber weder besonders intelligent noch abgründig-dämonisch ist, eine Krimihandlung, die den üblichen Regeln des Genres nicht gehorcht. Und doch ist Jun’ichirō Tanizakis Roman Das Geständnis aus dem Jahr 1928, der jetzt erstmals auf Deutsch im Septime-Verlag erschienen ist, eine echte Entdeckung.
Der Traum vom perfekten Mord
Erzählt wird die Geschichte des Schriftstellers Mizuno, der im Tokio der Zwanziger Jahre lebt. Mizuno ist ein arroganter Faulpelz und Schnorrer, der hin und wieder Geschichten für Literaturzeitschriften schreibt. Seine Ehe ist zerbrochen, er lebt recht isoliert in einem Zimmer in einer ärmlichen Pension und geht gelegentlich zu Prostituierten. Trotz seiner recht prekären Lebensumstände und weitgehenden gesellschaftlichen Isolation empfindet sich Mizuno nicht als gescheitert. Nach außen inszeniert sich der Schriftsteller als „Satanist“, was imposanter klingt, als es tatsächlich ist: Sein „Satanismus“ besteht in der Praxis hauptsächlich darin, „sich von den Etablissements, den Zeitschriften und Freunden Geld zu leihen und es nie wieder zurückzuzahlen“.
Gerade hat er eine Geschichte über den perfekten Mord verfasst: Ein Mann plant, völlig willkürlich eine zufällige Person umzubringen, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Dummerweise nur hat Mizuno das Mordopfer nach einem flüchtigen Bekannten modelliert, dem Journalisten Kojima. Und dummerweise ist ihm beim Abfassen des Textes der Fehler unterlaufen, diesen Kojima bei seinem richtigen Namen zu nennen. Mizuno gerät in Panik, er fürchtet den Skandal, mehr aber noch, dass seine Geschichte dazu benutzt werden könnte, ihn selbst ans Messer zu liefern: Was, wenn ein Unbekannter Kojima tötet und es aussehen lässt, als sei Mizuno der Mörder – ganz wie in der Geschichte?
Betört vom westlichen Lebensstil
Immer tiefer steigert sich Mizuno in seine Wahnvorstellung. Der Versuch, die Veröffentlichung der Geschichte in letzter Sekunde zu verhindern, scheitert. Schließlich beschließt Mizuno, eine Erzählung zu schreiben, die seine Mordgeschichte fortschreibt und seine Vision, selbst zum Opfer einer Intrige zu werden, adressiert. Außerdem will er sich ein Alibi verschaffen und vorerst abtauchen.
In einem Nachtclub begegnet er einer westlich gekleideten Prostituierten. Er verfolgt die betrunkene Frau, spricht sie an und trifft die Abmachung, sich einen Monat lang mehrmals die Woche mit ihr für Geld zu treffen. Der freizügige, westliche Lebensstil der Frau befremdet und betört Mizuno so sehr, dass er ihr regelrecht verfällt. Er gibt immer mehr Geld aus, das er von seinem Verleger erst leihen muss, und verdrängt seine Arbeit an der neuen Geschichte. Und dann geschieht tatsächlich, was Mizuno die ganze Zeit befürchtet hat: Kojima wird ermordet aufgefunden.
Ein schillernder Charakter
Was also fasziniert an dieser seltsamen Geschichte eines echten Scheusals von Figur? Zum einen gelingt es Tanizaki, seiner Erzählung einen enormen erzählerischen Drive zu geben. Man folgt als Leser den sonderbaren Gedanken, Obsessionen und Handlungen des Protagonisten atemlos, so suggestiv und eindringlich wird hier erzählt (die hervorragende Übersetzung von Jan Manus Leupert trägt entscheidend dazu bei). Auch verrät oder denunziert der Autor seine Figur nie. Mizuno ist kein Abziehbild, kein bloßer und damit uninteressanter Widerling, sondern ein wirklich schillernder Charakter, für den der Autor beim Leser auch Anteilnahme und Mitleid zu wecken vermag – etwa, wenn Mizuno die Prostituierte bittet, ihm mit allen nur denkbaren Tricks das Gefühl echter Liebe zu vermitteln, oder als er seine liebsten und kostbarsten Bücher versetzt, um noch ein wenig Geld aufzutreiben.
Überdies kreist der Roman um die spannende Frage, wie sich Wirklichkeit und Fiktion zueinander verhalten und aufeinander wirken. Mizuno wird das Opfer der Imaginationskraft seiner Literatur: Er verfällt dem Glauben, das Leben könnte die Kunst tatsächlich nachahmen.
Verführungskraft des Westens
Im Handlungsstrang, der von Mizunos Begegnung mit der Prostituierten erzählt, nimmt Tanizakis Text kulturkritische Überlegungen zum Verhältnis Japans mit dem Westen vorweg, die der Autor wenige Jahre später in seinem berühmten Essay Lob des Schattens am Beispiel der Ästhetik ausführen wird. Im Roman steht die Frau für den Westen mit all seiner angeblichen Freizügigkeit, Unverbindlichkeit und Verführungskraft; Mizuno dagegen repräsentiert das klassische Japan, das einerseits seinen Traditionen verhaftet bleiben will, andererseits aber vom Lebensstil der „Anderen“ unwiderstehlich angezogen wird. Tanizaki deutet diese Begegnung als letztlich fatal: Indem er den Reizen des fremdartig Neuen erliegt, droht sich der Japaner völlig zu verlieren.
Nicht zuletzt aber liest man als Europäer des Jahres 2023 diesen Roman auch als Zeitkapsel, die ein ungemein anschauliches, lebendiges Bild des Tokios der Vorkriegszeit vermittelt. Die moderne Großstadt mit ihren Nachtclubs und Bars, das rastlose Leben, die Zerrissenheit der Intellektuellen – all das kennt man als deutschsprachiger Leser auch aus der eigenen Literatur, aus den Romanen Alfred Döblins, Erich Kästners und Irmgard Keuns. Dass man nun auch von den Tokioter Roaring Twenties lesen kann, ist ein großes Vergnügen und eine willkommene Erweiterung des literarischen Kosmos.
Jun’ichirō Tanizaki: „Das Geständnis“. Roman. Aus dem Japanischen von Jan Manus Leupert. Septime Verlag, Wien 2023. Gebunden, 264 Seiten. ISBN 978-3-99120-019-2.